Reisebericht

Tagesbericht vom 07.07.2004

In der Nacht werden wir von einem seltsamen Geräusch wach. Angst habe ich keine. Ich kann sowieso nicht glauben, dass es in dieser Einsamkeit böse Menschen gibt. Nur Eines schiesst mir durch den Kopf: Hat dieses Geraschel etwas mit der Zeichensprache des Kasachen vom Vorabend zu tun? Wir schauen beide aus der mit Moskitonetzen gesicherten Seitenfenster im oberen Stock hinaus. – Sir James ist umgeben von einer Kuhherde. Einige dieser wirklich dummen Kühe wissen nichts besseres, als sich am Sir James zu reiben. Wir oben schaukeln hin und her. Irgendwann dann ziehen die Kühe weiter und wir können bis zum Morgen schlafen.
Der gute Strassenzustand hält an. Die Strasse weist sogar einen Teerbelag auf. Löcher gibt es fast keine. Die meisten sind geflickt. Das ist der Grund, weshalb unsere Fahrt immer noch holprig ist, aber kein Vergleich mehr zu den Zuständen der Verbindungswege der vergangenen Tage. Wir können uns mit etwa siebzig Kilometern pro Stunde fortbewegen und das schätzen wir.
Schon seit der Planung unserer Reise erzählt mir Bobo, dass wir in Baykonur vorbeischauen werden. In Baykonur befindet sich das Kosmodrom der Russen. Von hier aus haben alle sowjetischen und russischen Weltraumflüge seit 1961 (mit Yuri Gagarin) stattgefunden. Die Russen haben nach dem Zerfall der Sowjetunion das ganze Gebiet um Baykonur von Kasachstan für zwanzig Jahre für eine Summe von ungefähr 120 Millionen US Dollar pro Jahr gepachtet. Wir wissen, dass ein Besuch des Kosmodroms höchstens mit Spezialbewilligung möglich ist. Wir sind sehr gespannt.
Die dem Kosmodrom am nächsten gelegene Stadt heisst gemäss Karte und Lonely Planet „Leninsk“. Aber – wie schon mehrmals erwähnt – Lenin wird nicht mehr verehrt und Leninsk existiert schlichtweg nicht mehr, weder auf einem Wegweiser noch auf einer Ortstafel. Die ursprüngliche Ortsbezeichnung ‚Toretam' ist wieder in Gebrauch. Die Bezeichnung ‚Baykonur' wird doppelt verwendet. Einerseits wird die Wohnsiedlung aller Russen, die im Kosmodrom arbeiten, andererseits wird das Kosmodrom selbst damit bezeichnet. Die Wohnsiedlung liegt neben Toretam, das Kosmodrom ist etwa 32 Kilometer davon entfernt.
Wir versuchen gar nicht erst, in die Sperrgebiete zu gelangen. Von Weitem und durch den Feldstecher sehen wir Radaranlagen und können auch eine Abschussrampe erkennen. Es ist interessant, dass die Russen auch heute noch alles als eine für Aussenstehende ‚verbotene Zone' betrachten.

Toretam selber besteht aus einem Bahnhof und einigen sehr einfachen Häusern, gleicht sonst aber einem riesigen Schrottplatz. So etwas haben wir noch nie gesehen. 1992 und 1993 gab es hier grosse Unruhen. Viele Russen und Ukrainer verliessen als Folge die Stadt. Uns scheint es, dass sie, bevor sie weggingen, alles zerstörten, was russischen Ursprungs war und sie nicht mitnehmen konnten. Heute stehen nur noch die Häuser der einheimischen Bevölkerung.

Auf dem Markt von Toretam kaufen wir Teigwaren ein. Wir nehmen 500 Gramm Spiralnüdeli, die im Offenverkauf angeboten werden. Selbstverständlich schauen wir auch in die Markthalle. Bobo würde gerne Fleisch kaufen. In einem Nebenraum, etwa zwanzig Quadratmeter gross, sitzen zwölf Frauen an langen Tischen und wedeln mit an Holzstäben gebundenen Tüchern die Fliegen vom Fleisch. In einem kleinen Nebenraum zerhackt ein Mann mit dem Beil irgendwelche grossen Tierteile. Bobo kann kein Fleischstück erkennen, das für uns geeignet wäre. Für heute haben wir noch Fleisch an Bord. Morgen ist ein neuer Tag.
Baykonur selbst ist die ‚moderne' Stadt, die zum gepachteten Gebiet der Russen gehört. Offizielles Zahlungsmittel ist der Rubel. In dieser Stadt wohnen die Russen. Unterwegs treffen wir auf ein seltsames Monument. Wie wir erfahren, handelt es sich um eine heilige Stätte. Sie ist einem Mann gewidmet, der hier vor etwa 1000 Jahren wirkte.

Unser Weg führt uns weiter an Kyzylorda, der Hauptstadt von Kasachstan von 1925 bis 1927, vorbei bis an Position Nord 44° 45' 53.9“ und Ost 65° 47' 24.8“. Ausnahmsweise gibt es zum Apéro nicht nur Wodka sondern auch Kaviar. Selbstverständlich kommt uns auch schon bald ein Hirte einer nahen Herde hoch zu Pferd besuchen. Wir begrüssen uns freundlich und der Abend nimmt seinen Lauf ...

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