Reisebericht

Tagesbericht vom 23.06.2004

Es ist Zeit, dass wir unser Hotel verlassen: Bei der Toilette funktioniert die Spülung nur, wenn wir im Spülkasten manuell die Entleerung herbeiführen und beim Lavabo muss sich ein Anschluss verschoben haben. Alles Wasser, das vom Hahn in das Becken fliesst, kommt unten auf dem Boden wieder heraus. Aber ich habe es trotzdem sehr genossen, wieder einmal eine richtige Toilette benützen zu können und zu duschen, und das erst noch, so lange ich wollte. Eine spezielle Einrichtung russischer Hotels, die ich noch erwähnen möchte, ist diejenige der Etagendame. Auf jedem Stock gibt es neben dem Lift einen grossen Freiraum. In diesem Raum sitzt hinter einem kleinen Tisch die Etagendame. Sie kümmert sich um die Gäste ihres Stockwerkes. Sie ist es auch, die die Zimmerschlüssel verwaltet. Man stelle sich vor: Bei einem Hotel von neun Etagen, gibt es mehr als neun zusätzliche Angestellte, denn der Service funktioniert rund um die Uhr!
Weil wir uns in Astrachan schon so richtig auskennen, suchen wir noch ein Office mit Internetanschlüssen auf. Wir übermitteln unseren neuesten Reisebericht samt Fotos meinem Neffen Reto. Wie wir sehen, wird unsere Homepage ziemlich regelmässig besucht. Schade nur, dass wir fast keinen Feedback erhalten. Gerne würde ich hie und da ein Mail erhalten, um zu erfahren, wie es den Daheimgebliebenen so geht.
Dann fahren wir weiter. Wir wollen noch auf den Markt, damit es heute Abend wieder etwas Feines zu essen gibt. – Ist hier eine Einbahnstrasse? Nein, wohl kaum, denn das Lichtsignal lässt ausdrücklich ein Abbiegen nach rechts zu. Aber schon bedeutet uns ein entgegenkommender Fahrer, das wir in der falschen Richtung fahren. Wir schliessen die Augen – und fahren trotzdem weiter (wenden ist kaum möglich). Aber, Ihr ahnt es wohl schon, die Polizei schliesst ihre Augen nicht. Schon an der nächsten Kreuzung werden wir durch sie angehalten. Natürlich verstehen wir kein Russisch. Aber der zweite Polizist kann etwas Englisch. Er bedeutet Bobo, dass nur der Bus in diese Richtung fahren darf. Pech. Das gibt eine Busse. Das gibt es nichts zu verhandeln. Nur über die Höhe der Busse kann Bobo noch diskutieren. Und er macht das bestens. So kommen wir mit einer bescheidenen Busse davon. Das Geld wandert natürlich direkt in die Tasche des Polizisten. Denn eigentlich dürfen Bussen nicht direkt bezahlt, sondern müssten auf einer bestimmten Bank einbezahlt werden. Aber ich glaube, das macht hier niemand. Dann tätigen wir doch noch unsere Einkäufe. Wir haben gelernt, dass die Russen nach aussen kaum zeigen, was sich hinter einer Fassade verbirgt. Die besten Geschäfte befinden sich oft in unscheinbaren Gebäuden. Von der Strasse her ist absolut nicht ersichtlich, wie gross und noch weniger welche Auswahl das Geschäft anbietet.
Wir fahren aus der Stadt Richtung Wolgograd (ehemals Stalingrad). Der Himmel ist bedeckt, es ist schwül und heiss. Die Gegend ist trostlos, flach, steppenartig.

Wir haben gedacht, dass das Wolgadelta eine fruchtbare Gegend sein müsste. Aber das ist sie nicht. Zumindest nicht mehr. Wahrscheinlich hat die jahrelange Kanalisation und Abzweigung des Wassers der Wolga, ohne Rücksicht auf die Natur, zu diesem Zustand geführt. Wir fahren vorbei an sehr einfachen Siedlungen. Hie und da gibt es in diesen fast ausgestorben scheinenden Gebieten eine im Verhältnis zu den Häusern überdimensionierte Kirche. In Prischib schauen wir uns ein solches Gotteshaus von der Nähe an. Schon spricht uns ein älterer Mann an. Er möchte fotografiert werden und mit uns einen Vodka trinken. Wir lehnen dankend ab.

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