Reisebericht

Tagesbericht vom 31.05.2002

5 Sterne hat unser Hotel. Im offiziellen Hotelführer von Indien. Im Zimmer angekommen möchten wir den Dreck des Tages abspülen. Wasserhanen auf. Es kommt Wasser. Es ist kalt. Zweiter Wasserhanen auf. Es kommt Wasser. Es ist kalt. Bei diesen Temperaturen muss doch jeder froh sein, wenn das Wasser kalt ist. Wieso dann warmes Wasser? Doch Liseli mag im kalten Wasser keine Haare waschen. Liseli reklamiert. Ja, wir werden sehen, dass der Boiler angeschaltet wird, ist die Antwort. Dann waren es nur noch 4. Sterne natürlich.

4 Sterne hat unser Hotel. Nach der kalten Dusche, gehen wir zum Nachtessen. Wir steuern den Coffeeshop an. Der Manager empfängt uns. Ja, bitte nehmen sie Platz. Wir kurven im leeren Restaurant herum, um den optimalen Platz zu finden. Ja was hat es denn da auf dem Steinboden für schwarze Punkte? Haben die Kakerlaken und Käfer heute Ausgang? Ein Heer von Krabbeltierchen kommt auf uns zu. Dann waren es nur noch 3. Sterne natürlich.
3 Sterne hat unser Hotel. Frisch gestärkt gehen wir auf das Zimmer. Es wartet viel Arbeit auf uns. Der Stadtplan von Delhi muss digital erfasst werden, damit wir uns im Strassengetümmel von Delhi nicht verirren. Am Anfang sei Licht. Und so war es auch. Jetzt haben wir eine Kerze im Zimmer. Für alle Fälle. Gut, dass unser Laptop an der Batterie läuft. Die Kakerlaken haben wahrscheinlich einen Angriff auf die hauseigene Stromversorgung durchgeführt. Oder waren es die Pakistani? Dann waren es nur noch 2. Sterne natürlich.
2 Sterne hat unser Hotel. Die Nacht ist vorbei. Die Krabbeltierchen sind bis jetzt ausgeblieben. Oder kommt deren Wirkung erst später? Dumm ist nur, dass der Mensch am Morgen muss. Und da zwei Personen müssen, braucht es auch viel Wasser zum spülen. Der Wasserzulauf reicht jedoch nicht. Oder haben die Krabbeltierchen den Zulauf verstopft? Jetzt ist sie auch voll. Die Schüssel. Dann war es nur noch einer. Stern natürlich.
1 Stern hat unser Hotel. Liseli hat genug. Sie möchte gehen. Dumm ist nur, dass wir die Wäsche gestern noch zum Waschen gegeben haben. Wir packen unsere sieben Sachen und verlassen das Zimmer. Ja was ist denn da los? Im Zwischentrakt zu unserem Flügel regnet es in Strömen. Die angrenzenden Räume sind unter Wasser. Wahrscheinlich hat das Hotelgebäude die Sprengungen für den Neubau nebenan nicht überstanden, so dass der Wassertank im Dachgeschoss geborsten ist. Dann war es keiner mehr. Stern natürlich.
0 Sterne hat unser Hotel. Ja und was machen wir jetzt? Nach Hause gehen? Einen Kaffee trinken. Warten bis die Wäsche kommt. Und dann schnell unseren Sir James besteigen. Durch Delhi hindurch und ein neues Unterkommen suchen! Wie schön sind doch die alten Heritage Hotels in Indien. Oder hatten wir bis jetzt nur Glück?
Da wir die Hotelrechnung mit Cash begleichen müssen, brauchen wir jetzt Geld. Das würde eigentlich zum ersten negativen Stern führen. Aber diese Story ist jetzt abgeschlossen. Und wo holt man Geld? Am Bankautomaten. In Delhi. Hinein in das Gewühl, denn Delhi muss man ja sehen (wenn die wüssten, dass wir nicht ‚man' sind!). Sogar das ‚India Gate', den ‚Connaught Place' und den Bankautomaten finden wir. Wunder über Wunder, der Bankautomat funktioniert und spukt auf Tastendruck ein paar Noten aus. Wir sind wieder flügge. Der Polizist in Delhi, der uns angehalten hat, hat auf die falsche Taste gedrückt: Das Nummerschild entspräche nicht der Norm. Und... und... Ah, ich soll nicht angeschnallt gewesen sein. „Tue Busse mein Sohn, ohne eine Busse zu bezahlen“ meint der uniformierte Oberguru mit dem Block in der Hand und lässt uns weiterfahren.
Um zum Stadtkern vorzustossen brauchten wir 2 Stunden. Wieso sollen wir in der umgekehrten Richtung schneller sein? So kommt es, dass wir um ca. 14:00 Lokalzeit aus weiter Ferne, so zu sagen ‚mit Anlauf' dem Himalaja entgegenstürmen. Da ‚stürmen' von ‚Sturm' kommt meinen viele, dass das mit ‚Luft' zu tun hat. Bei uns steht das aber im Zusammenhang mit Ochsenwagen, Rikschas, Mopedfahrer, Lastwagen, usw.. Ah, da hab ich ja etwas vergessen zu erzählen: in Delhi haben sie ein neues Tier: den Maulwurf. Tausende wühlen im Untergrund von Delhi, um eine Metro zu bauen!

Sollen wir im Ganges baden gehen? Wir wären jetzt da. Es ist 15:30 Uhr. Wir gehen nicht baden, wir Armen, Gehetzten, haben keine Zeit. Wir wollen heute noch nach Naini Tal, dem Zermatt von Indien, um den Himalaja zu bestaunen. Das bedeutet noch ungefähr 120 Kilometer, oder je nach Strassenverhältnissen, zwei bis drei Stunden Fahrt. Das sollten wir schaffen. Denkste! Seit mehr als einer Stunden stehen wir im Stau, im Chaos. Vorne Lastwagen, hinten Lastwagen, rechts ein Ochsenkarren, links eine dreiräderige, klapprige Rischka und am Strassenrand unzählige Personen, die schwatzen, essen, ihr Geschäft verrichten, Sir James bestaunen, sich die Füsse vertreten oder ganz einfach warten.. Endlich, nach zwei Stunden und etwa vierzig Minuten löst sich der Knäuel langsam. Nach 3 Kilometern können auch wir den Bahnübergang passieren. Diesen Stau hätten wir geschafft. Aber wir haben uns getäuscht; wir stehen schon wieder in einer unabsehbaren Lastwagen- Auto- Rischka- Ochsenkarrenkolonne, und dies seit über 50 Minuten. Irgendwann erfahren wir auch, warum wir so lange stehen: eine Brücke ist wegen Sanierungsarbeiten nur einseitig befahrbar. Es wird langsam dunkel. Naini Tal und auch das nächste einigermassen passable Hotel liegen noch in weiter Ferne.
Wir übernachten bei einer ‚Autobahnraststätte' indischer Art an der Position Nord 28° 33' 21.7“ und Ost 79° 16' 4,9“ wieder einmal im Sir James. Diese ‚Autobahnraststätte' muss man sich etwa folgendes vorstellen: ein besserer Bretterverschlag am Strassenrand mit einer bescheidenen, gemauerten Theke, Anrichte und Kochgelegenheit. Der Chef sitzt davor an einem kleinen Tisch mit der Kasse. Zwei Kinder und 4 Erwachsene sind seine Angestellten. Die Tische stehen am Strassenrand, jedoch gut geschützt von ein paar herumstehenden Lastwagen. Vor allem Lastwagenfahrer verpflegen sich hier und schlafen entweder in oder auf ihren Lastern oder dann im Freien auf den bereitstehenden Pritschen. Der Wirt – er spricht ein paar Brocken Englisch - gibt sich alle erdenkliche Mühe: als wir am Coca Cola trinken sind, fragt er überraschend: „do you like some Chicken“? Wir bejahen. Sein Gehilfe besteigt das Motorrad. Plötzlich steht er mit zwei Flaschen Bier da: „do you like a beer“? Wir bejahen und trinken Bier. Nachdem Liseli ihm gesagt hat, dass unsere Mägen etwas zarter sind als die indischen, fragt er nach dem Kochstil der Chicken: „fried, kebab or indian stil“? Was sollen wir nur nehmen? Fried? „Yes, fried“ antworten wir ihm. Nach ein paar Minuten kommt er wieder: „do you prefer a roasted chicken“? „Yes, that's fine.“ Dieses mal fährt er mit dem Motorrad fort (wahrscheinlich ins naheliegende Dorf). Nach einer ½ Stunde kommt er wieder mit einem Plastikbeutel in der Hand. Er verschwindet in der Küche. Nach weiteren Minuten serviert er uns ‚Güggeli im Chörbli' indischer Art. Super Essen. Reis, indisches Brot und Salat gibt es dazu! Selbstverständlich wird Sir James von allen Seiten besichtigt und bestaunt, und als wir erst das Dach anheben, vergessen die lieben Inder (es hat übrigens nur Männer) fast, den vor Staunen offenen Mund wieder zu schliessen.
Bevor wir uns schlafen legen, lassen wir den Motor eine gute viertel Stunde laufen, um mittels der Aircondition noch etwas kühlere Luft ins Innere zu bringen. Es ist zwar nur etwa 28 Grad warm, aber sehr feucht; die Luftfeuchtigkeit beträgt 88 Prozent! Irgendwann, irgendwie schlafen wir ein, und dies trotz dem Lärm der vorbeiratternden und hupenden Lastwagen, des dröhnenden Generators, der Musik aus dem Transistorradio ...

Top