Reisebericht

Tagesbericht vom 04.06.2002

Bereits um 08:30 Uhr beginnt auf der indischen Strasse nach Kolkatta der heutige Kampf um den vordersten Platz. Wie sang Conny (oder war es Katharina?) in den 60-er Jahren: ‚Kalkutta liegt am Ganges'. Wir nehmen nach dem Morgenessen den Hoteljungen mit, der uns den Weg aus der Stadt zeigt. Was heisst hier aus der Stadt? Varanasi scheint nie aufzuhören. Und die Brücke über den Ganges und über die Eisenbahn ist sooo schmal.

Trotzdem wollen die 10 Menschen,100 Velofahrer, 200 Rikschafahrer, 400 Mopedfahrer, 20 Mahindrafahrer und Liseli mit Sir James alle gleichzeitig über diese begehrten Objekte. Aber wo sind denn heute die Kühe geblieben? Gestern musste ich doch innerhalb der Zweimillionenstadt eine Kuhherde überholen! Wahrscheinlich sind sie heute morgen im Ganges und nehmen ein Bad. Denn eines ist klar: den Kühen geht es in Indien gut, sie haben weder natürliche noch technische Gegner.

So und jetzt stehen wir wieder einmal. Tausende – wenn nicht Zehntausende - von Lastwagen säumen und verstopfen die Strasse. Wir wissen nicht, wie es zu diesen Staus kommt. Es könnte sein, dass die Lastwagen am Tag vor einer Stadt angehalten und erst in der Nacht in die Stadt hineingelassen werden. Da es an diesen Staustrecken aber auch immer einen Kontrollposten hat, könnte es sich um normale Fahrtenkontrollen handeln (nach acht Stunden sollst du ruhen und nicht erst nach sechs Tagen). (Erst in Chennai (Madras) erfahren wir, dass es sich um Zölle handelt. Da jeder indische Staat individuelle Warenumsatzsteuern erhebt, sind an der Staatsgrenze Zollgebühren zu entrichten.)

Mitunter glauben wir auch zu erfahren, was der besondere Reiz an Indien ist: das ‚Jeder kann tun und machen, was er will'. Es stört die Tiere nicht, was die Menschen machen. Es interessiert die Atommacht Indien nicht, was die Bauern in ihren Dörfern biblischen Alters machen. Ausser der religiösen Moral- und Sittenlehre scheint es keine zivilen Verhaltensregeln zu geben. Und Religionen gibt es in Indien viele. Übrigens fahren wir seit Lucknow wiederum der Autobahnneubaustrecke entlang. Natürlich eine Autobahn auf indische Art: eine zweite Fahrbahn neben der alten, englischen Strasse. Durch die bestehenden Dörfer hindurch. Vierspurig. Die Gelegenheit, durch eine neue Linienführung, die schnellen und langsamen Verkehrsteilnehmer zu separieren, wurde mit dieser Konzeption verpasst (Schwellenruedi sei gegrüsst (stammt er aus Indien?)). Wahrscheinlich wird – wenn die Autobahn je fertig wird - auf beiden Strassenhälften in beiden Richtungen gefahren, wie wir das bereits auf den wenigen existierenden Autobahnkilometern erlebt haben. Denn wer kann den frei herumlaufenden Tieren schon Verkehrsregeln beibringen. Und was den Tieren erlaubt ist, ist auch den andern Verkehrsteilnehmern erlaubt.
 
Jetzt müssen wir den ‚Son' überqueren, einen Seitenarm des Ganges. Die Brücke aus englischen Zeiten ist mehrere Kilometer lang; der Stau noch länger. Zum Glück sind wir hinter einem Militärlastwagen. Er bahnt nach indischer Art vor uns einen Weg – auf der Gegenfahrbahn. Liseli hängt sich dicht dahinter. Wir beginnen uns mit den Männern auf dem Lastwagen zu unterhalten, in Zeichensprache. Da wir viel Zeit haben, verstehen wir uns immer besser. So kommt es, dass alle Mitfahrer auf diesem Camion alles daran setzen, dass sich ja kein anderes Auto zwischen uns klemmt und wir immer dicht hinter ihnen bleiben können. Aber auf der Mitte der Brücke geht dann nichts mehr. Nur noch die Temperatur, sie steigt (aussen 45°, innen 35°). Endlich kommen wir an der Ursache des Staus auf der Brücke vorbei: Zwei Lastwagen sind frontal ineinander gebumst. Beide sind nur noch eine Ersatzteilquelle. Die Demontage beginnt meist direkt nach dem Unfall an Ort und Stelle, denn es ist viel leichter Autoteile zu tragen, als einen ganzen Lastwagen. Und was man nicht mehr brauchen kann, ist auf einer Brücke schnell entsorgt! Aber der Verkehr rollt immer noch nicht. Wahrscheinlich stehen jetzt auf unserer Fahrbahn diejenigen, die auf der Gegenfahrbahn die Lastwagen überholt haben. Die Temperatur steigt, aussen 48°, innen 38° Celsius.

Buddha lacht uns entgegen. Wir sind in der Buddha Stadt ‚Bodh Gaya'. In dieser Stadt bauen alle Nationen, die etwas mit Buddha zu tun haben einen Tempel: Vietnam Tempel, China Tempel, usw.. Vis a Vis des grossen zentralen Tempels haben wir unser Hotel ‚Mahamaya' und Sir James darf direkt vor den Hoteleingang stehen und den zentralen Tempel betrachten (Position Nord 24° 41' 47.9“ und Ost 84° 59' 23“). Natürlich sind auch die Preise dementsprechend: 950 Rupien für eine ganze Nacht (32.00 CHF). So wenig haben wir in Indien bisher noch nie bezahlt (Buddha sei Dank). Die Sauberkeit ist umgekehrt proportional zum Preis. Wir haben das Gefühl, schon lange nicht mehr so sauber übernachtet zu haben (d.h. wir haben es erst vor). Ah, das tut gut: ein Bier im hoteleigenen Restaurant, und das sogar ganz offiziell, aus dem Glas, trotz heiliger Stadt. Nach dem Stadtrundgang kommt uns die Erleuchtung: Buddha hatte hier seine Erleuchtung, darum spenden so viele Buddhisten hier einen Tempel. 30 Photos haben wir von dieser Erleuchtung geschossen.
Eigentlich wollten wir heute bis Ranchi fahren. Aber nach dem Stau von heute Mittag schaffen wir nur gerade eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 Kilometer pro Stunde. Das hätte bedeutet, dass wir erst tief in der Nacht in Ranchi angekommen wären. Und eben, in der Nacht auf Indiens Strassen ...

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