Reisebericht

Tagesbericht vom 09.06.2002

Am siebten Tage sollst Du ruhn; also stehen auch wir etwas später auf. Für heute ist die Fahrt nach Vijaywada geplant, das sind ungefähr 370 Kilometer. Die Autobahn, deren Baustelle uns die letzten Tage über Hunderte von Kilometern begleitet hat, scheint für einige Kilometer schon länger fertiggestellt zu sein. (Auf alle Fälle ist sie schon wieder sanierungsbedürftig.) Es ist, wie wir es uns vorgestellt haben: der Unterschied zwischen Autobahn und Normalstrasse besteht lediglich in der Bauweise, das heisst, es gibt je zwei richtungsgetrennte Fahrbahnen. Sonst bleibt sich alles beim Alten: es gibt Fussgänger, Kühe und Schafe, liegengebliebene Pannenfahrzeuge mitten auf der Fahrbahn und auch Autos, die uns auf unserer Spur entgegenkommen Bei uns nennt man solche Fahrer ‚Geisterfahrer'. Aber die indischen Geisterfahrer sind gut geschult: sie hupen zumindest in einem Fort!

Heute morgen lieben wir Indien wieder einmal. Erstens klappt die Hotelrechnung überraschend auf Anhieb. Wir bezahlen für die Übernachtung im schönen, sauberen Zimmer mit leiser Aircondition, Warmwasser in der Dusche, inklusive dem gestrigen, sehr guten Nachtessen und heutigen Frühstück umgerechnet 100.- CHF. Zweitens finden wir nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen, selbständig aus der Stadt zu gelangen, einen Motorradfahrer mit Brille und Mütze, der uns einige Kilometer durch das Strassengewirr auf die richtige Strasse führt. Wahrscheinlich müssen wir in Zukunft nach motorisierten Brillen- und Mützenträgern Ausschau halten. Drittens empfängt unser Natel wieder einmal ein Signal und so können wir Ursel per SMS zum Geburtstag gratulieren. Auch Sir James feiert Geburtstag, seinen 40'000sten Kilometer. Zur Feier schalten wir an Position Nord 17° 39' 22.4“ und Ost 82° 55' 51.9“ einen Halt am Strassenrand ein. Und als Geschenk darf Sir James wieder ein bisschen indische Autobahn geniessen, diesmal jedoch eine Nigelnagelneue. D.h. sie ist noch nicht ganz fertig, die Autobahn. Ab und zu fehlt ein Stück. Das ist nicht so schlimm. Sir James kann auf Brücken verzichten. Es ist nicht das erste Mal, dass er durchs Wasser muss. Aber sie bauen eine Brücke, die Inder. In ein paar Jahren ist sie sicher fertig. Aber dann ist das Teilstück zwischen den Brücken sicher wieder baufällig. Nun wird die Fahrt aber echt kriminell. Wie schon heute morgen, wird die Autobahn nicht nur von motorisierten Fahrzeugen benutzt, sondern von allem, was sich irgendwie fortbewegen kann (Mensch, Tier, Fahrzeug). Daran haben wir uns zwar schon fast gewöhnt. Aber dass wir auch auf unserer Seite immer wieder unerwartet Gegenverkehr haben, macht die Fahrt wirklich gefährlich. In Indien scheint es keine Strassenregeln zu geben. Und sollte es sie doch geben, dann hält sich niemand, aber auch gar niemand, an diese. So sind wir eigentlich fast froh, als das neue Autobahnteilstück wieder in Baustelle übergeht. Denn dann wissen wir wenigstens, dass wir Gegenverkehr haben. Wenn nur der Wechsel von Autobahn zu Baustelle nicht so abrupt, oder zumindest durch Verkehrsschilder gekennzeichnet wäre. Aber auch Verkehrsschilder gibt es, wie bereits erwähnt, in Indien nicht. Wozu auch! Genauso wenig wird signalisiert, wenn die Löcherpiste wieder in Autobahn übergeht. So geschieht es leicht, dass man ungewollt die falsche Autobahnspur erwischt. Sir James hat dank seinem Driver und der Co-Driverin immer die richtige Spur erwischt.
Wir sind erleichtert, gegen Abend heil im Hotel ‚Quality Inn' in Vijayawada an Position Nord 16° 30' 0.2“ und Ost 80° 36' 55.2“ anzukommen. Wir haben wieder ein gutes Hotel, mitten in der zwei Millionen Stadt erwischt und erholen uns vom Fahrstress. Morgen wird es wahrscheinlich in gleicher Fahrweise weiter nach Chennai (vormals Madras) gehen.

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