Reisebericht

Tagesbericht vom 26.10.2002

Natürlich waren wir wieder die einzigen Gäste auf diesem Campingplatz. Wie auf fast allen Plätzen, auf denen wir in Mexiko waren, ist alles ein wenig verlottert, macht alles ein wenig einen desolaten Eindruck. Mexiko erinnert uns an verschieden Länder, die wir auf unserer Reise besucht haben: an Marokko (landschaftlich) an Westafrika (Korruption), an Indien (Schmutz), an Spanien (Kultur) und nicht zuletzt an Amerika (Shoppingcenter).
Zur Feier des gestrigen Tages sind wir am Abend direkt neben dem Campingplatz in ein kleines Familienrestaurant essen gegangen. Wir essen nicht schlecht und dank ein paar Tropfen Cognac klappt es auch mit der Verdauung, dem Aufstossen und dem Schlaf.
Heute morgen gehen wir zuerst ins Internetcafé. (In diesem kleinen Ort gibt es bestimmt vier.) Nach der Erledigung unserer Post besuchen wir verschieden Internetseiten. Wir erfahren von der schrecklichen Geiselnahme und deren blutigen Beendigung in Moskau. Wir vernehmen, dass nördlich von Mexiko City an der Pazifikküste ein ausserordentlich heftiger Wirbli durchzieht (Kenna). Zum Glück sind wir zur Zeit südwestlich von diesem Geschehen. Zudem lassen wir uns am Internet unter sima.com.mx bestätigen, dass wir mit der Endziffer 6 auf der Zulassungsnummer von Sir James nur am Montag in Mexiko City nicht fahren dürfen. Heute und morgen dürfen wir die Umfahrungsstrassen von Mexiko City, für welche diese Fahrbeschränkungen auch gelten, benutzen. Zusätzliche, besondere Regelungen wegen hoher Luftverschmutzung, gelten heute keine.
Wir fahren Richtung Puebla. Der Verkehr auf den Strassen um Mexiko City ist stark, aber erträglich. Natürlich nehmen wir die gebührenpflichtige Autobahn. Und nun kommt Sir James wieder einmal richtig ins Schnaufen. Die Autobahn führt über einen Pass, deren höchster Punkt sage und schreibe 3223 Meter über Meer liegt. Sir James zieht tapfer an verschiedenen Autos mit kochendem Motor vorbei. Und dies, obwohl man uns in Alaska gewarnt hat, dass unser Modell die Höhe von 3000 Metern nicht mehr schaffe. Wir stellen fest, dass interessanterweise die Baumgrenze noch viel höher liegt. Ist dies der Grund, dass auch unser Sir James keine Mühe zeigt auf dieser Höhe oder liegt es am sehr stark schwefelhaltigen Dieselöl von Mexiko?
Am frühen Nachmittag treffen wir in Cholula, einem Vorort von Puebla, ein. Wir besichtigen die Ausgrabungen einer prehispanischen Stadt und eine der grössten Pyramiden dieser Erde. Auf der Höhe der Sonnenpyramide befindet sich heute eine spanische Kirche. Die Ausgrabungen zeigen, dass auch hier etwa sechs Schichten übereinander aufgebaut worden sind (vergleiche Teotihuacan). Da die einzelnen Schichten jeweils mit Mörtel gebaut sind, ist das Ausgraben nicht einfach. Ein Grossteil der historischen Anlage kann zudem nicht erforscht werden, da das Gelände mit in Privatbesitz stehenden Gebäuden überbaut ist.

Die Sonnenpyramide erscheint nicht so mächtig, wie sie eigentlich ist. Erstens ist sie gänzlich überwachsen und zweitens befindet sich das Fundament der Pyramide weit unter dem heutigen Niveau. Wir haben daher eher den Eindruck, vor einem Hügel zu stehen als vor einer Pyramide. Um mehr über die Sonnenpyramide zu erfahren, haben Archäologen verschiedene Tunnels unter der Pyramide durchgegraben. Dabei sind sie im Zentrum tatsächlich auf eine Höhle mit Kultgegenständen gestossen. Ein Teil der Tunnels (ca. zwei Meter hoch und achzig Zentimeter breit) ist für Touristen zugänglich. Natürlich müssen auch wir da durch. Ich denke an die vielen Erdbeben, die es in diesem Gebiet gibt. Mir ist schon ein wenig mulmig zumute. Das letzte schwere Erdbeben ereignete sich 1999. Es wurde sehr viel in dieser Gegend zerstört. Auch die Kirche auf der Pyramide hatte anscheinend sehr gelitten. Heute erstrahlt sie aber wieder in vollem Glanz (innen, in weiss und goldig strahlend).
A propos Kirchen: in Cholula soll es 365 Kirchen geben, für jeden Tag eine. Wir haben nicht nachgezählt. Aber nebst vielen Häusern gibt es tatsächlich enorm viele Kirchen. Von der Anhöhe des Sonnentempels respektive der katholischen Kirche haben wir eine fantastische Rundsicht auf diese 365 christlichen Gebäude. Aber wo ist der Popocateptl? Der muss doch auch in der Nähe sein? Ja, er wäre schon da, aber Dunstwolken verdecken die Sicht auf ihn.

Die Suche nach dem Campingplatz gestaltet sich eher schwierig. Die Wegbeschreibungen in den verschiedenen Führern weichen voneinander ab. Aber da ist noch die Polizei, zuständig für die öffentliche Sicherheit (seguridad publico). Die Polizisten fahren uns, als wir sie nach dem Weg fragen, in ihrem weissen VW Käfer vor. Und so sind wir jetzt hier an Position Nord 19° 14' 20.8“ und West 98° 17' 42.3“ im Trailer Park ‚Las Amerikas'. Und – oh Wunder – es gibt noch einen anderen Campingplatzbenutzer. Er stammt aus Oregon.
Zur Belohnung für unsere Geduld haben sich die Dunstwolken aufgelöst. Die untergehende Sonne verschwindet langsam hinter dem 5600 Meter hohen Ungetüm Popocateptl und strahlt den Sonnentempel mit der Kirche darauf an. Nach dem wir den Himalaya und den Mt McKinley nicht gesehen haben – da sie sich ebenfalls im Dunst und in den Wolken versteckten – sehen wir wenigsten den Popocateptl in voller Pracht.
Bums, macht es wieder einmal. Diesmal ist es dass Bett. Der Verankerungsstab ist gebrochen. Wir können zwar noch schlafen aber der Nichtgebrauch macht Mühe. Das Bett lässt sich nur mit vereinten Kräften anheben. Um im Innern des Sir James stehen zu können, ist es notwendig einerseits das Dach und anderseits das unter dem Dach liegende Bett anzuheben. (Also besser können wir dies nicht erklären. Macht nichts, es ist einfach wieder etwas kaputt gegangen.)
Langsam scheint unsere Reise doch enden zu müssen. Fast jeden Tag erleben wir in der letzten Zeit eine solche Überraschung. Heute morgen haben wir fast keinen Kaffee gekriegt, weil aus irgendeinem Grunde die Versorgungsbatterie ‚Low Level' anzeigte (11 Volt). Dies passte unserer Kaffeemaschine gar nicht. Sie trat in den Ausstand. Die Wiederbelebungsversuche mit laufendem Motor waren jedoch erfolgreich, so dass das braune Getränk auch heute unseren täglichen Start signalisierte (zum Glück gibt es mehrere Batterien in unserem Fahrzeug, die samt ‚Cross Charging' erst noch funktionieren).
Ah, jetzt kommt es doch noch. Wir haben es schon fast vergessen. Was? Den zehnten Monat (nicht den neunten). Ja, vor zehn Monaten sind wir in der Schweiz aufgebrochen, um die Welt unsicher zu machen. Ist uns das gelungen? Nein, natürlich nicht. „Das soll lustig sein“, fragt Liseli. Ja, es ist, da heute Liselis Schreibtag ist und nicht meiner. So, so, ....

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